Shadowrun

13.12.2021: Tür 13

Autor: Cristo Fe Crespo Soro

Kurzgeschichte: Die Extraktion (Teil 2)

Rasch hetzten die Frauen durch die labyrinthischen Katakomben des Parkhauses. An Geschäftslimousinen mit Kontrollschildern aller Herren Länder vorbei, die in ihren Versorgungsnischen ruhten und von denen einige ihre eigenen Wachdrohnen besaßen, welche bedrohlich über der Karosserie levitierten.

Im Gegensatz zur AR, in der jede Zufahrt mit pulsierenden Pfeilen oder Bänder gekennzeichnet war, deren Farben den jeweiligen Aufenthaltserlaubnissen entsprach, fiel hier unten die reale Beleuchtung eher dämmrig aus.

Aber das genügte Antonietta, als sie im Gehen Manushi stützte, die zielstrebig auf einen aufgepeppten, froschgrünen Toyota Daytripper zu eilte, der wie die Faust aufs Auge hierher passte.

Mit einem unerwarteten Zischgeräusch fuhren die Türen auf der Beifahrerseite auf und offenbarten ein interessantes Innenleben. Den die Sitze besaßen nicht nur einen Überzug, der an alte Polsterstühle erinnerte, die komplette Inneneinrichtung des Fahrzeugs war auch so gestaltet, als bestünde sie einzig aus Holz und Kupfer. Gleichzeitig schwang sich ein Kind mit einem einen übergroßen Cowboyhut, in einen knallgelben Mechanikeroverall gehüllt aus dem Wagen und nahm sie in Empfang.

Während er besorgt die verletze Inderin auf die Hintersitze bettete, erkannte Antonietta, dass es in Wirklichkeit ein Gnom war.

Als Manushi aus der Rückseite einer der Sitze ein Tranqpatch zauberte und sofort anwendete, fuhr dieser zu herum und beugte sich vor, zog den Hut mit einem weiten Schwenker. "Ich heiße Michael Strogoff, aber sie können mich Micha nennen. Es ist mir eine außerordentliche Ehre, eine Reinblütige in meinem bescheidenen Alkoven begrüßen zu dürfen. Und es sei ihnen noch gesagt, dass ich den Beitrag ihrer Kultur an die menschliche Zivilisation vergöttere!"

Als die Elfe die kleine Gestalt verwirrt anstarrte, meinte Manushi nur: "Er hat sie gebeten einzusteigen."

"Verstehe." Nickte Antonietta und stieg ein. "Man hat Euch mit diesen Wagen hier ohne weiteres reingelassen?" Wunderte sie sich dabei. Überraschenderweise roch es im Innern des Fahrzeugs seltsam angenehm nach Gewürzen.

"Oh meine liebe Dame. Ihr wärt überrascht, wo man mir überall Einlass gewährt. Meine Wenigkeit gehört zur Garde der Schweizer Elitekuriere. Ich riskiere nicht nur die Existenz täglich im Berufsverkehr, ich rette auch Leben und manchmal sogar Beziehungen." Sprach das kleinwüchsige Männchen und schwang sich in einen Kindersitz, wo er die linke Hand in eine Vertiefung steckte, von der aus ungezählten Leitungen in das Armaturenbrett führten. Dabei bemerkte die Elfe auch etwas anderes. "Wo ist das Steuerrad?"

Die Türen fielen zu und das Fahrzeug beschleunigte sofort in Richtung der Ausfahrtsrampe. Keinen Augenblick zu früh. Denn hinter ihnen wechselten alle Lichter auf Rot. Antonietta hielt sich fest, als sich am Ende der Auffahrt eine Panzertüre in Bewegung setzte, um den Weg zu versperren.

"Mädchen?" Flüsterte Micha.

"Bin dran." Antwortete Manushi, während sie unter ihrem Kittel ein kommlinkähnliches Gerät hervorzauberte und sich darauf fokussierte.

Stockend kam die Panzertüre zum halt und ließ sie passieren, bevor sie endgültig mit einem brutalen Ruck das Parkhaus versiegelte.

Der Toyota schlingerte darauf noch über die Ausfahrt der Arkologie und sackte dabei mehrmals ein, bis sich die Fahrt beruhigte und das Fahrzeug in den Abendverkehr Zürichs einschwenkte.

"Das die immer noch Nagelsperren besitzen," murmelte Micha. Dann blickte er fragend nach hinten. "Ich dachte, das sollte eine einfache Spazierfahrt werden. Unauffällig rein und raus, ohne auch nur einen Alarm auszulösen?"

"Is‘ was dazwischengekommen." Meinte Manushi knapp.

"Und wie. Unser Ehrengast ist gerade schweizweit zur Fahndung ausgeschrieben worden. Wobei die Polizei bereits mit Straßensperren begonnen hat."

"Tut mir leid," murmelte die Inderin dazu und wirkte dabei wie ein Häufchen Elend, "das wollte ich wirklich nicht. Es tut mir so unendlich leid."

"Es gibt sogar einen Hauptzeugen der Entführung." Meldete sich Mischa erneut. "Einen gewissen Doktor U. Brunner. Er wurde scheinbar von den Komplizen der Entführerin übermannt, bevor er überhaupt etwas machen konnte."

Er sah grinsend zu Antonietta hoch. "Ihr Verdienst?"

"Mylady führt als Schmuckaccessoir stets einen Taser mit sich." Kam es vom Rücksitz.

Der Gnom grinste erfreut. "Ich verehre sie schon jetzt meine Dame. Und schulde ihnen mehr, als sie sich augenblicklich bewusst sind. Aber," er machte eine nachdenkliche Pause, "im Moment stellt sich mir eine andere Frage: Mylady, wie gesagt, es war mir eine Ehre und wahrlich ein Vergnügen. Doch die Dinger sind komplizierter geworden, als wir gedacht hatten. Und es könnten ihnen inzwischen ernsthafte Probleme daraus erwachsen. Deswegen Folgendes: Ich könnte jetzt an der nächsten Kreuzung halten und sie aussteigen lassen. Sie müssten dann nur erzählen, dass sie in einem Moment unserer Unaufmerksamkeit entkommen konnten. Ich hoffte nur, sie würden mich nicht so schnell vergessen."

Augenblick tat Antonietta Manushi so unendlich leid.

Irgendwie erinnerte die Kleine sie an sich selber, als sie noch jung gewesen war und der Meinung, man könnte sich über Konventionen hinwegsetzen, dass einem die Welt gehören würde. Damals ...

Die Inderin schluchzte leise vor sich hin.

... als sie sich für den bequemeren Weg entschieden hatte.

Antonietta atmete tief durch, als sie entschlossen die Hand auf Manushis Schulter legte. "Was hatte ich hierzu gemeint? Was waren meine Worte?"

Die Inderin antwortet mit zittriger Stimme. "Kneifen gibt‘s nicht?"

Ein Nicken folgte, dass sie mit Hoffnung erfüllte, als sie weitersprach. "Wenn man was anfängt, führt man es auch zu Ende."

"Braves Kind." Lächelte Antonietta.

"Gut, dass meine Wenigkeit diesbezüglich immer einen Plan B hat. Könnte aber gefährlich werden." Micha sah erwartungsvoll zur Elfe hoch, die nur nickte. "Von mir aus. So lange das nicht wie bei Thelma&Louise endet."

Zwei fragende Gesichter starrten sie darauf an.

Bis sich der Gnom wieder auf den Verkehr konzentrierte.

"Wir müssen es unbedingt in den nächsten fünf Minuten in den Tunnel schaffen. Die Polizei macht immer an dessen Ausgang ihre Kontrollen."

"Wollten wir das nicht vermeiden?" Fragte ihn Manushi.

"Werden wir, wenn wir uns beim SwissMetro-Bahnhof in den FAFU Fahrstreifen durch den Hönggerberg-Tunnel einklinken können. Der berührt an mehreren Stellen die Fahrspur für Schwertransporte in den Triangel. Dort steigt ihr dann um. Bin gerade zum Rendezvous Punkt unterwegs. Wird endlich Zeit, einen Gefallen einzuziehen."

Zielstrebig kämpfte sich der Toyota jetzt durch den Abendverkehr, bis er an dem im prunkvollen Neorenaissance-Stil gehaltene Prachtbau der SwissMetro-Station auf eine Fahrbahn einschwenkte, bei der die Kontrolle des Fahrzeugs vom Zürcher Verkehrsleitsystem übernommen wurde.

Währenddessen bestaunte Antonietta die erdrückende Farbenpracht an Weihnachtsdekoration, sowohl in der realen Welt, wie in der AR, die ihren Weg schmückte. Und empfand praktisch nichts dabei.

Selten waren ihr all diese Lichter und Farben derart kalt und abweisend wie heute vorgekommen. Das sollte Weihnachten sein?

Ein Fest der Liebe?

Auf den Straßen waren nur mürrische, launige Gesichter unterwegs. Und sogar in den Wägen vor und hinter ihnen, starrten die Passagiere missmutig und wussten scheinbar nichts mit sich selbst anzufangen, jetzt da die Stadt ihre Fahrzeuge lenkte. Der Toyota fuhr in den Tunnel hinein.

Gleichzeitig tippte ihr Manushi ihr auf die Schulter. Würdet ihr mir noch eine weitere, persönliche Frage beantworten?"

"Ja?"

"Was war der Herzenswunsch eurer Tochter?"

"Nachwuchs," lächelte die Elfe, froh auf ein Thema angesprochen zu werden, dass ihr am Herzen lag, "sie wünschte sich eigene Kinder. Also ermöglichte ich ihr eine künstliche Befruchtung. Natürlich nach der neuesten Technologie, bei der zur Fekundation genetisches Material eines Partners, unabhängig dessen Geschlecht verwendet werden kann."

"Das hat doch ein Vermögen gekostet?" Fragte sich Micha.

"Na und? Mein Mann verbrennt die gleiche Summe in einer Woche für sein rumgehure. Ich habe wenigstens jemanden einen Herzenswunsch erfüllt."

"Nicht nur ihr." Murmelte der Gnom dazu.

"Wie?"

Micha sah zur Elfe hoch. "Sagen wir es so: Ich wünsche ihnen, sozusagen als Geist der Vergangenheit hiermit frohe Weihnachten. Auch bitte ich sie, sich bereit für eine kleine Kletterpartie zu machen."

Die Fahrt ging inzwischen zwar stockend weiter, aber die Fahrzeuge standen regelmäßig oder kamen nur noch im Schritttempo vorwärts. Laut Micha waren die Polizeikontrollen am Ausgang des Tunnels der Grund dafür.

Dann erschien auf der angrenzenden Fahrbahn der Lastwagen, auf den sie gewartet hatten. Im Gegensatz zu allen anderen Fahrzeugen begann nun ihr Wagen auf den Northstar vor ihnen aufzuschließen.

"Mädchen? Ich hoffe, der Kerl ist nicht auch mit einem FAFU-Faker unterwegs."

"Nein," entgegnete ihm Manushi, als sie über das Fahrleitsystem die Kontrolle über den Wagen vor ihnen übernahm und diesen bei der nächsten Kreuzung aus dem Tunnel schickte. Noch kurz konnte man darin sehen, wie der Fahrer panisch mit dem Steuerrad kämpfte und auf das Armaturenbrett hämmerte.

"Er wird in einer der Rettungsnischen zum Halt kommen. Von da aus kann er dann normal weiterfahren." Klärte währenddessen die Inderin Antonietta über das Schicksal es Mannes auf.

"Sehr gut." Murmelte Micha, als er auf die Fahrbahn zur Rechten zeigte, auf der ausschließlich der Schwerverkehr zu den Industriezonen, hauptsächlich dem Triangel, unterwegs war.

"Vorne folgt bald ein gerades Stück, das keine Trennwände hat und wo beide Spuren nur durch die Straßenlinien getrennt werden. Für den Fall, dass eine ‚heiße Ladung‘ durch die Schweiz transportiert werden soll, stellen uns einige internationale Fahrer, für ein dementsprechendes Entgelt, einen besonderen Dienst zur Verfügung. Wird mal Zeit, den in Anspruch zu nehmen. Sobald sich die Möglichkeit ergibt, steigt ihr aufs Dach und klettert rüber. Mädchen, synchronisierst du mich bitte auf den Lofwy Conestonga da vorne?"

"Aber was ist mit den Kameras und den Überwachungsdrohnen? Und den Fahrern vor und hinter uns?" Antonietta wirkte unsicher.

"Ha!" Meinte dazu Micha. "Um die Kameras und Drohnen kümmert sich mein Mädchen. Und was die Fahrer betrifft ... darauf habe ich schon lange gewartet. Wird Zeit, die Magie zu wirken und mein Geheimnis zu offenbaren."

Während er noch sprach erwachten unzählige AROs um und über das Fahrzeug, die in grellgelben Lettern auf schwarzem Grund Werbung für einen ‚G’s Pizza Kurier Winterthur‘ machten.

Zu Antoniettas breites Grinsen nickte der Gnom nur. "Ich sagte doch, dass ich den Beitrag ihrer Kultur an die menschliche Zivilisation vergöttere."

Fast gleichzeitig projizierte das Fahrzeug nach vorne und hinten eine massive, holografische Pizza-Werbewand, welche die ganze Fahrbahn abdeckte und einem jegliche Sicht nahm. Gespickt waren diese mit weiteren AROs, über die man interaktiv die Auswahl an Pizzen studieren oder sich sogar zum Wagen bestellen konnten. Geliefert wurden diese dann mittels Drohnen.

"Ich weiß, ich weiß, das ist absolut illegal. Aber so lange der Verkehr über das Fahrleitsystem kontrolliert wird, kann überhaupt nichts passieren. Und eine Busse kriege ich nur, wenn die Polizei mich in flagranti erwischt." Mit diesen Worten öffnete Micha die Türen zur Fahrgastseite und manövrierte den Wagen neben dem Wartungsfach für die Kontrolldrohnen und Ersatzreifen eines imposanten Lastwagens.

Zugleich klappte die Luke des Faches auf.

Ohne zu zögern, riss Antonietta beidseitig ihr Cocktailkleid weiter auf, nahm die Schuhe in die Hand und stieg aufs Dach. Manushi folgte ihr, wirkte aber ein wenig benommen. Lag wohl an der Wirkung des Patches.

In dem Moment, an dem beide Fahrzeugen standen, griff die Elfe hinüber, hielt sich an der Öffnung der Luke fest und setzte mit einem Fuß rüber, mit der anderen Hand das Gleichgewicht haltend.

Die Inderin stützte sie ab und versuchte zu folgen.

In genau diesem Augenblick fuhr der Lkw wieder an und der Toyota zog automatisch mit. Zwar setzte die Elfe hinüber, aber der Ruck brachte Manushi aus dem Gleichgewicht, als ihr schwarz vor Augen wurde.

Als ihre Sinne wiederkehrten, lehnte sie innerhalb des Wartungsfaches gegen einen Ersatzreifen und Antonietta winkte gerade dem Toyota zu. Dann schloss sich die Luke und Dunkelheit umfing sie.

Während draußen eine von Mischas Drohnen ein neues ‚Originalsiegel‘ an der Luke anbrachte benutzte Antonietta die Taschenlampen-Funktion ihres Komlinks um den Raum zu beleuchtete. Müde sah sich Manushi um, als sie siedend heiß realisierte, dass die Elfe immer noch barfuß war.

"Ihre Schuhe!"

Antonietta zuckte mit den Schultern "War bloß ein Geschenk meines Mannes."

"Aber die kosten doch mindestens so viel wie ein Mitsubishi Runabout."

Manushi leistete keinen Widerstand, als die Elfe sie zu sich zog und ihren Kopf vorsichtig in den Schoss betete. "Mädchen, das muss sich dringend ein Arzt anschauen. Und glaub mir, solche Schuhe sind ersetzbar."

Kaum einen Augenblick später, war die Inderin, unter der Einwirkung des Patches, weggeschlummert. Die ganze Fahrt lang spielte Antonietta mit ihrem samtenen, schwarzen Haar.

Selten hatte sie ihre Tochter derart vermisst wie im Moment. Dabei fragte sie sich, ob diese überhaupt noch am Leben war.

Irgendwie war ihr jetzt wichtiger, dass Manushi gesund wurde, als alles, was ihr selber widerfahren konnte.

Sie hatte gelebt, was konnte sie schon vom Leben weiteres erwarten?

Aber Manushi hatte noch alles vor sich.

 

 

Die Luft stank nach Motorenöl und vergammelten Müll. Es war eisig kalt und die spärliche Beleuchtung hier im Triangel machte das Laufen mit bloßen Strümpfen zu einem Spießrutenlauf.

Hier schienen die Maschinen auch an Heiligabend nicht zu schweigen, war der Nachthimmel von Transportdrohnen und unzähligen anderen Fahrzeugen erfüllt. Es war in diesem Höllenloch alles viel dreckiger, als sie sich jemals hatte vorstellen können. Selbst der schwarzgraue Schnee, der noch verblieben war, wirkte mehr wie ein wucherndes Geschwür als etwas Natürliches.

Seit man sie aus dem Lastwagen befreit hatte, waren sie durch diese apokalyptische Einöde zu einer der unzähligen Lagerhallen unterwegs.

Manushi hatte seitdem nicht viele Worte mit ihr gewechselt, schien irgendwie in sich gekehrt, obwohl die herrschende Kälte ihr geholfen hatte, wieder wach zu werden.

Inzwischen standen sie vor zwei einschüchternden Trollen in Uniform gegenüber, die bewaffnet am Gebäude wache schoben. Es kam zwar selten vor, dass Antonietta zu jemandem hochblicken musste. Aber hier musste sie den Kopf in den Nacken legen.

Dafür hatte Manushi, die einem von ihnen bis knapp an das Knie reichte weniger Berührungsängste, als sie mit den beiden auf Russisch sprach.

Irgendwann ließen sie sie durch und sie betraten den Vorraum der Lagerhalle.

Hier stellte die Inderin sie vor einer Metalltüre, erklärte ihr mit einem undeutbaren Augenzwinkern, das dahinter die versprochene Überraschung ihrer harrte und zog sich nach erneuten Kopfschmerzen endlich zurück, um sich die vermaledeite Kopfwunde behandeln zu lassen.

Lange betrachtete sich Antonietta im Metall der Türe.

Ihr Haar war inzwischen nur noch ein wirres Vogelnest, nichts mehr erinnerte an die 5’000 Franken Frisur von vor ein paar Stunden. Ihr einzigartiges Kleid war verdreckt und zerrissen, wie ebenso ihre Strümpfe.

Sie fror und hatte einen Hunger wie selten zuvor.

Dabei stand sie hier in einem gefährlichen Niemandsland, in dem wahrscheinlich bald ihr bisheriges Leben enden würde. Seltsamerweise hatte sie keine Angst.

Denn noch nie zuvor hatte sie sich derart lebendig wie jetzt gefühlt.

Sie schwor sich, dass sie diese heilige Nacht immer in Erinnerung behalten würde, egal was ihr nun widerfahren würde. Und dass sie es niemals bereuen würde, es jemals getan zu haben.

Also holte sie tief Luft und schritt durch die Türe.

Eine angenehme Wärme empfing sie.

Zusammen mit einem unerwarteten Duft nach Esswaren.

Es roch nach Essen aus allen möglichen Ecken des Planeten und derart intensiv, dass ihr Magen mehrfach hörbar knurrte.

Vor ihnen erstreckte sich eine bizarre Wohnsiedlung, in der Menschen als unzähligen Kulturen und Rassen in Zelten, Containern und sogar umgebauten Campern hausten. So wie es schien, SINlose, die hier im Triangel einen Unterschlupf und wohl auch Arbeit gefunden hatten.

Aber im Moment feierte man ausschließlich Heiligabend.

Es wurde gesungen, getanzt und vor allem gegessen.

Als wären sie eine einzige, große Familie.

Während sie das Bild auf sich einwirken ließ und sich fragte, ob das die wirklichen Weihnachten waren, stürmten Kinder auf sie zu. Die drei Mädchen mochten vier Jahre alt sein und waren in einem interessanten Potpourri von verschiedenen Kleiderstilen gewandet. Die ganze Zeit riefen sie etwas auf Französisch, als sie kurz um sie herumtanzten und sich dann förmlich auf sie warfen.

Von der herzlichen Begrüßung begeistert ging Antonietta in die Knie und erwiderte die Umarmungen. Gleichzeitig versuchte sie, ihre angestaubten Französischkenntnisse wieder zu beleben, denn sie war sich sicher, dass sie wusste, was die Mädchen riefen. Hierbei kamen ihr ihre Gesichtszüge seltsam vertraut vor, erinnerte ihre bronzefarbene Haut sie an Manushi. Waren dies ihre Geschwister?

Dann erklang eine Stimme, die ihr eine Gänsehaut verursachte. "Willkommen in den Schatten."

Als Antonietta entgeistert aufsah, fiel ihr auch endlich ein, was die Mädchen riefen. "Lara?"

Das war die welsche Koseform für ‚Großmutter‘.

"Sie ist genauso, wie du mir stets erzählt hattest!"

Diese Stimme gehörte dafür Manushi.

Mit Freudentränen in den Augen drehte sich Antonietta ihr zu. Sie trug nun endlich einen Verband am Kopf, während sie mit geröteten Wangen überglücklich lächelte. "Frohe Weihnachten Schwiegermama."